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Das Demokratische Unternehmen – Volles Haus bei der Konferenz in München

Neue Wege zu Format und Formatierung von Organisationen – darum ging es bei der Konferenz „Das demokratische Unternehmen: Aufbruch in eine neue Humanisierung der Arbeitswelt?“ am 12. Februar 2015 an der TU München. Mit fast 500 Teilnehmern traf die Veranstaltung einen Nerv, der das Zeug hat, einen neuen Paradigmenwechsel einzuläuten. Ganz so, wie es die als „HdA-Programme“ bekannt gewordenen breiten Veränderungen der Arbeitswelt aus den 70er und 80er Jahren. Damals stand „HdA“ (Humanisierung der Arbeitswelt) für die Überwindung taylorisierter Fließbandarbeit.

Heute geht es um die Arbeitswelt-bezogenen Veränderungen der Digitalisierung. Damit greift diese Konferenz eine Implikation der Digitalisierung von Organisationen auf, deren Bedeutung man kaum überschätzen kann. „Endlich“ könnte man noch hinzufügen. Denn die Schatten dieser Implikationen sind schon seit Jahren zu erkennen, gerade im Hinblick auf die verschiedenen Aspekte, die man tatsächlich sehr gut mit dem Begriff der Demokratisierung beschreiben kann, zusammenfassen kann: Die Digitalisierung von Kommunikations- und Zusammenarbeitsinfrastrukturen erlaubt eine globale Reichweite in Echtzeit gezielt zu Mit-Denkern mit einem ad hoc hohen Maß an Berührungspunkten. Die wiederum führt zu Dialogen und infolge dessen zu Austausch und Zusammenarbeit – ohne dass es eines hierarchischen Impulses bedurft hätte. Dieser digital katalysierte „Tipping Point“ mag vielerorts noch schwach und diffus sein, ist aber letztlich genau der Mechanismus, der im Kern den Durchbruch zu einer neuen Dimension der Wissensvernetzung bedeuten kann.

Das betont auch Thomas Sattelberger in seiner Begrüßung mit dem Verweis auf die Geschlossenheit der Systeme klassischer Organisationskonstrukte. Sie sorge dafür, dass Veränderungen an den Organisationen abprallen. Hier stellt die Digitalisierung sowohl eine Chance, als auch eine Herausforderung dar. In seinem Vortrag ging er darauf tiefer ein. Er differenzierte sowohl unterschiedliche Perspektiven der Debatten zum Demokratischen Unternehmen, als auch die generischen Korridore der Organisationsentwicklung. Seine Key Message: Die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten und Zusammenarbeit organisieren entscheidet genauso maßgeblich über die Ergebnisse, wie Technologien und Geschäftsmodelle. Die Tiefe dieses Wandels vergleicht er mit den vier Stufen der Industriellen Revolutionen: Von der Mechanisierung über die Taylorisierung und die Computerisierung nun hin zur Digitalen Humanisierung und Demokratisierung.

Andrea Nahles, Bundesarbeitsministerin, eröffnet mit ihrer Keynote die inhaltliche Vertiefung des Themas. Interessant und durchaus bemerkenswert ist der historisch Kontext, in den sie die Demokratisierung von Unternehmen stellt. Sie arbeitet zahlreiche Elemente des Arbeitsrechts heraus, denn dort finden sich die verfassten Eckpunkte der betrieblichen Demokratisierung: Vom Betriebsrat, über Vertreter von Minderheiten, wie z.B. Schwerbehinderte, bis hin zu Arbeitnehmervertretern in Aufsichtsräten. All das heißt der nicht ohne Grund „Mitbestimmung“: Mitbestimmung schafft Vertrauen. Das wiederum generiert motivatorische und leistungssteigernde Impulse. Außerdem sind die Gremien der Mitbestimmung oft auch ein wichtiges Element der Frühwarnung vor Fehlentwicklungen.

Mit Prof. Dr. Klaus Dörre, Institut für Soziologie der Uni Jena und seit 1996 wissenschaftlich am Thema, folgt eine hochinteressante Tour de Force durch die Traditionslinien der Demokratietheorien, auch im betrieblichen Kontext. Fazit: Das Thema ist weder neu noch unerforscht. Es gibt im Gegenteil einen breiten Fundus theoretischer und praktischer Ansätze, deren Aufarbeitung – so mein Eindruck – vor dem Hintergrund der digital getriebenen Veränderungen sicher wichtige Beiträge liefern könnte.

Auch interessante Praxisbeispiele werden im weiteren Verlauf vorgestellt. Persönlich vertreten und für mich sehr überzeugend waren v.a. die folgenden Unternehmen:

  • Helmut Lind, Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank München mit über 700 Mitarbeitern, arbeitet seit Jahren konsequent auf eine Kultur der Achtsamkeit hin und schafft immer wieder interne Kommunikationsforen, in denen sich alle Teilnehmer auf Augenhöhe begegnen.
  • Armin Steuernagel, mehrfacher Jungunternehmer, Mitinitiator der Initiative “Democracy International” und Entwickler von appstimmung.de, einer Corporate Voting App, mit der sich Ideen der Mitarbeiter von anderen Mitarbeitern bewerten und vernetzen lassen. Er wendet das und weitere Elemente direkter Demokratie bei seinen Mitarbeitern konsequent an.
  • Marc Stoffel, gewählter CEO von Umantis, betont, dass gerade die Entscheidungen, die substanziell für das Unternehmen sind, bei Umantis von allen mitentwickelt werden. Sogar die Frage, an wen das Unternehmen verkauft werden soll. Er widerspricht damit der vorherrschenden Meinung, dass die Beteiligung der Mitarbeiter auf die „kleinen“ Bereiche beschränkt werden sollte. Vielmehr sind das die Themen, bei denen viel eher Top-Down-Entscheidungen akzeptiert und teilweise auch gefordert werden.
  • Ines Pohl, Chefredakteurin der taz, beschreibt den langen Werdegang der sehr basisdemokratischen internen Organisation der tazund den dafür entwickelten Methoden und Tools, u.a. übrigens auch ein Social Intranet. Außerdem besteht die Möglichkeit für die Belegschaft, sie als Chefredakteurin abzuwählen. Ergänzend zum Betriebsrat gibt es außerdem einen Redaktionsrat, der jenseits der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben des Betriebsrats bei allen anderen Konflikten als Ansprechpartner und Mediator bereit steht.

Es ließen sich noch viele andere Vorträge und Erkenntnisse ergänzen, die sicher auch aus unserer Wissensmanagement-Perspektive interessante Inspirationen darstellen. Viel mehr bleibt aber zu hoffen, dass diese Veranstaltung kein Strohfeuer-Event bleibt, sondern in einen Prozess überführt wird, der weitergeht und sich zur Institution entwickelt. Gesellschaft für Wissensmanagement-seitig könnte ein solches Forum die Chance bieten, im Sinne unserer Mission ein gutes Stück zu dieser Entwicklung beizutragen.

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