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Spielregeln in Fachgruppen

Immer wieder finden sich Fachgruppen, die ein Thema behandeln. Anders als Regionalgruppen mit lokalem Bezug steht hier ein Thema im Vordergrund. Einige sind zeitlos – so die Frage, ob Wissenstransfer überhaupt möglich ist – andere auch eher projektartig wie die Entwicklung der DIN SPEC 91443. Mit Erstellen des Dokuments, spätestens mit der Veröffentlichung ist das gemeinsame fachliche Ziel erreicht, die Gruppe löst sich auf – und findet sich so oder in ähnlicher Zusammensetzung wieder.

Damit wir „fachlich“ produktiv zusammenarbeiten, sind Erwartungshaltungen zu klären:

  • Welche Ergebnisse sollen in welcher Form von wem bis wann erarbeitet werden?
  • Wem gehören die Ergebnisse?
  • Wie offen ist so eine Gruppe? Kann man sich zu Beginn einbringen und arbeitet dann geschlossen, oder gibt es ein laufendes Kommen und Gehen?

Auch wenn es am Anfang nicht immer einfach ist, eine abschließende Formulierung für das Thema zu finden, so sind doch grundlegende Aussagen sehr hilfreich. Sonst werden Erwartungen geweckt, die später nicht erfüllbar sind und zu einem Gefühl der Frustration auswachsen können. Es hat sich als hilfreich erwiesen, wenn sich die Akteure auf eine Art „Bericht“ geeinigt haben – häufig in Form einer Studie, eines Artikels, ein Video, eine Präsentation … oder eines (kurzen) Leitfadens, der zwischen 3000 und 15.000 Worten umfassen kann – also wesentlich tiefer gehen soll, als dieser Blog.

Wenn eine „Publikation“ entsteht, geht es oft auch um die Autorenschaft und damit um Urheberschaft (persönlich und nicht verzichtbar) und Copyrights (mit einer sehr breiten Auswahl an Optionen). Ein Text muss verantwortet werden, er kann aber eben auch Reputation schaffen. Die Nennung der Beteiligten – möglichst durch Qualifizierung der Beiträge – trägt dazu bei, Anreize zu schaffen, aber auch Transparenz. Wer treibt etwas, wer entwickelt Hypothesen oder Lösungen, wer liest „nur“ Korrektur? Wir profitieren von Arbeitsteilung. Wer beiträgt, steht dann auch irgendwo – im Gegensatz zu den „Lurkern“, ein abfälliger Begriff für jene Teilnehmer, die nur „dabei“ sind, um eventuell frühzeitig interessante Entwicklungen abzugreifen. Auch diese gibt es – aber wir müssen sie weder akzeptieren noch fördern. Die Abgrenzung und Entscheidung obliegt immer den Fachgruppenleitern – der Rest entscheidet ohnehin faktisch durch Teilnahme oder Absenz – manche Fachgruppen sind zerfallen, weil der Anteil der Lurker zu groß war.

Wenn wir diese meritokratische Grundhaltung pflegen, kann eine Gruppe sehr offen sein. Sie profitiert von unterschiedlichen Ideen, unterschiedlichen Teilnehmern und vom Austausch. Die Grenze zwischen „respektvollem Umgang miteinander“, basierend auf Anerkennung der Leistung jener, die schon etwas geschaffen haben (im Gegensatz zu den störenden Zwischenrufen der Wichtigmacher, die niemand nützlich findet) und passivem „Abgreifen“ fremder Idee – Karsten Ehms spricht von Ideenklau und verweist seinerseits auf die historischen Erfahrungen – sind eigentlich selbstverständlich. Und doch gibt es leider regelmäßig diese äußerst unangenehmen Erfahrungen.

Spielregeln in einer Fachgruppe

Für einen Fachgruppenleiter ist es daher manchmal notwendig, diese Spielregeln auch noch einmal klarzumachen – oder alternativ zu formulieren. Für mich hat es sich bewährt, sie zu deklarieren:

  • a) Ein Team ist keine Einbahnstraße oder ein Gratisbuffet! Das ist der entscheidende Unterschied zum Consulting, wo jemand dafür bezahlt wird, etwas zu machen, worauf sonst niemand Lust hat – manchmal auch, weil es sonst niemand kann.
  • b) Commitment zur „wertschätzenden“ Zusammenarbeit. Es liegt an den Teamleitern (oder wer sich sonst dazu bereit erklärt), eine Agenda zu definieren, die darauf hinausläuft, das Ziel zu erreichen (siehe oben). Das „große“ Thema wird in Arbeitspakete zerteilt, je nach Kompetenz oder Interesse sortieren sich die Teilnehmer den Themen selbst zu und versuchen, vor dem Hintergrund des gemeinsamen Ziels sinnvolle Schritte zu setzen. Ab und zu braucht es Synchronisierung, manchmal auch Entscheidungen. Sie vorzubereiten obliegt der Teamleitung.
  • c) Eine Agenda ist der erste Schritt. Ein sachlicher Input – eine Folie, ein Text, ein Bild … – der zweite. NUR, wenn dieser Input vorhanden ist, kann ein Meeting ein sinnvolles Ergebnis haben: eine Entscheidung, dass dieser Vorschlag aufgegriffen oder sogar als „fertig“ akzeptiert wird. Oder eben noch Nachjustierung benötigt, die dann außerhalb eines großen Teams Kleinstgruppen erfolgt. Fehlt die Agenda, vergeht zwar die Zeit – die Wahrscheinlichkeit für Erfolg sinkt beträchtlich.
  • d) Bei textorientierten Ergebnissen kommt es manchmal vor, dass um Formulierungen gestritten wird, bei Bildern geht es manchmal endlos um Strichstärken. Als Spielregel hat sich bewährt, dass nur jene Kritik diskutiert wird, die einen konkreten Gegenvorschlag mitbringt. Sonst dauern Diskussionen – man streitet um Kaisers Bart, ohne dem Ziel näher zu kommen.
  • e) Schließlich profitiert eine Gruppe von sauberer Dokumentation: was ist der Status – was wurde (wie) entschieden, was bleibt offen und muss auf die nächste Agenda? Es muss nicht immer ein „Protokoll“ sein – doch hat es sich bewährt. Vorteil ist ganz nebenbei auch noch die Transparenz für jene, die nicht dabei waren – falls das gewünscht wird. Ich habe auch schon Gruppen erlebt, die explizit kein Protokoll wollten, um einen Anreiz zur Teilnahme zu schaffen.
  • f) Womit sich der Kreis zur Verbindlichkeit schließt: eine produktive Gruppe ist kein Zufallsprodukt. Nur, wenn (fast) alle dazu beitragen, kann es funktionieren. Sehr attraktive Themen ziehen auch Menschen an, die (noch) keine Ahnung vom Thema haben und die Gelegenheit nutzen wollen, dazu zu lernen. In diesem Fall hilft ein „Bewerbungsschreiben“, das die Motivationslage klar macht, wie auch die Ressourcen, die jemand in einen Prozess einbringen möchte. Es gibt Themen, die „müssen“ „jeden“ nehmen – etwa, weil sich die kritische Masse noch nicht gefunden hat – und andere, die die Selektion treffen müssen – möglichst nach klaren Kriterien. Beides löst Implikationen aus – wir sollen sie nicht ignorieren, sondern antizipieren!
  • g) Schließlich gibt es das Thema Kritik. Was machen, wenn eine Krise entsteht – etwa zum Arbeitsstil, zu Schwerpunkten oder über Sachfragen? Leicht ist es, wenn zwei Positionen gegenüberstehen und sich einig darüber sind. Diese können im Wissen um die Gegensätze aus unterschiedlichen Blickwinkeln dennoch zum gemeinsamen Ziel beitragen. Oder im schlimmsten Fall sich auch trennen und zwei Vorschläge machen. Wir sind hier in der GfWM alle freiwillig und aus Interesse am Thema. Zwang oder Frustration sollen minimiert werden – Rückzug ist der normale Fall, konstruktive Opposition – David Gurteen nutzt den Begriff „Conversation“ – könnte eine spannende Alternative sein.
  • h) Schwierig ist es, wenn die Konfliktlinien nicht so klar sind und unterschwellig bleiben, aber eben doch wahrgenommen werden. Führungskompetenz oder Sozialkompetenz sind dann gefragt – nicht immer gelingt es. Wir sollen diese Signale im Team frühzeitig ernst nehmen und deeskalieren, bevor Schaden entsteht.
  • i) Häufig schaffen es Teams bis zum Ende. Dann geht es um die Kommunikation der Ergebnisse. Je nach Vereinbarung kann das wieder sehr breit oder eben auch nur geschlossen erfolgen. Im Fall der DIN SPEC 91443 war die Vereinbarung mit dem Beuth Verlag, das „PDF“ eben nicht auf der Website der GfWM zu hosten, sondern exklusiv über den Verlag. Das muss man nicht großartig finden – so lautet aber in diesem Fall die Vereinbarung.
  • k) Selbstverständlich sollte sein, dass über „laufende Entwicklungen“ nur insoweit berichtet oder gezwitschert wird, soweit sie mit den Vertraulichkeitskriterien der Gruppe zusammenpassen. Kurz vor Publikation des gemeinsamen Ergebnisses „schnell noch“ die Wirkung in sozialen oder anderen Medien für sich zu nutzen ist eine große Versuchung. Sie ist spieltheoretisch sogar rational, da diese (!) Arbeitsgruppe in der letzten Runde (!) keine Sanktionsmöglichkeiten mehr hat (tit-tor-tat) und die nächste Arbeitsgruppe häufig anders zusammengesetzt wird. Unmoralisch ist es trotzdem – und im Sinne der Transaktionskostentheorie auch ein ökonomisches Problem, das insgesamt zum Gegenteil führt, was dieser Verein anstrebt: gemeinsam lernen.